23

 

Es dauerte länger als erwartet, Chuan Ren aus Abbadon zurückzurufen. Am Ende stellte eher Drake das Problem dar, da Aisling, wie jede intelligente Frau, Gabriels und meine Argumentation schneller begriff.

»Wisst ihr, eigentlich ist das gar keine schlechte Idee«, sagte sie, nachdem Gabriel unseren Standpunkt erläutert hatte. »Es könnte funktionieren. Wenn Chuan Ren unbedingt aus Abbadon heraus will, muss sie einwilligen, den Krieg mit uns zu beenden; ansonsten, pfft, geht sie sofort wieder zurück. Und du hast ja gesagt, dass sie es da alles andere als lustig findet.«

Aisling kicherte. Wenn ich Aisling so sah, zweifelte ich keinen Moment daran, dass Chuan Ren ihre Zeit mit Bael absolut verdient hatte.

»Wir würden dich nie ohne Grund bitten, Chuan Ren wieder in diese Welt zu holen, das kann ich dir versichern. Aber wir glauben, dass wir damit alle unsere Probleme auf einen Schlag lösen könnten - ich hätte Zugang zu dem Stück Drachenherz der roten Drachen, der Krieg zwischen euren Sippen würde beendet, und wir wären Fiat los.«

»Ich wusste von Anfang an, dass du mir gefällst«, erklärte Aisling und nickte mir ermutigend zu. »Ich brauche also nur Chuan Ren zurückzuholen, und dann sehen wir, was sie zu sagen hat. Wenn sie sich weigert zu kooperieren, dann werfen wir sie direkt wieder Bael vor die Füße und überlegen uns etwas anderes.«

Dass es nicht klappen könnte, wollte ich erst gar nicht in Erwägung ziehen. Das Stück Drachenherz sollte keine absolute Gewalt über mich bekommen.

»In Ordnung. Dann wollen wir mal anfangen«, sagte Aisling und versuchte erfolglos, alleine aufzustehen. »Drake, hilf mir mal.«

»Du wirst Chuan Ren nicht zurückrufen«, sagte ihr Mann zu ihr und stützte ihren Rücken, damit sie sich erheben konnte. Sie warf ihm einen verärgerten Blick zu. »Du willst mir doch jetzt nicht erzählen, dass es zu gefährlich für mich ist, oder? Ich kann dir versichern, dass bei so etwas Einfachem wie einem Rückruf nichts schief gehen kann.«

»Kobolde«, warf Jim ein und zog die Augenbrauen hoch.

»Caribbean als Statue. Mehr muss ich gar nicht sagen.«

»Sei still. Und du, Drake, schau mich nicht so an. Dieses Mal geht es nicht schief, das verspreche ich dir.«

»Du rufst aber Chuan Ren nicht in unser Haus, wo sie dich angreifen und möglicherweise verletzen kann«, bedang er sich aus.

»Aber du bist doch hier. Und István und Pál und Gabriel. Selbst May hat einen Dolch. Chuan Ren wird noch nicht einmal in meine Nähe kommen!«

»Das kommt gar nicht infrage.« Ich hatte Drake zwar schon immer für stur gehalten, doch nun verlieh er dieser Eigenschaft eine völlig neue Dimension. Wir diskutierten noch eine geschlagene Stunde, bevor wir endlich zu einem Kompromiss kamen.

»Ich verstehe nicht, warum das für mich weniger gefährlich sein soll, als Chuan Ren einfach nur zurückzurufen«, sagte Aisling mürrisch, als sie sich darauf vorbereitete, Jim und mich nach Abbadon zu schicken. »Und wenn sie geschnappt werden?«

»May kann in die Schattenwelt entweichen, und Jim kannst du zurückrufen, auch wenn er dabei seine Gestalt verliert«, antwortete Drake. Er legte Aisling einen Arm um die Taille und zog sie hoch, nachdem sie einen Kreis für den Notfall auf dem Boden gezogen hatte.

»Oh Mann, ich will aber keine andere Gestalt! Ich schreie, wenn ihr was passiert!«

Drake ignorierte Jims Worte. »Sie können beide auf sich selbst aufpassen, wenn sie gesehen werden.«

»Das solltest du vielleicht besser Gabriel sagen. Er scheint nicht besonders glücklich darüber zu sein, dass May ohne ihn nach Abbadon geht«, erwiderte Aisling.

Sie hatte recht. Gabriel fand diesen Plan viel zu gefährlich für mich.

»Ich kenne mich mit Dämonenfürsten aus«, sagte ich und gab ihm einen Kuss. Seine Augen glitzerten, aber es war eher das kalte Glitzern von Quecksilber als sein üblicher glühender Blick.

»Und Jim war schon häufiger in Baels Reich. Er wird wissen, wie wir am besten unbemerkt bleiben. Wir springen nur rasch hinein, holen Chuan Ren und sind wieder zurück, ohne dass es überhaupt jemand merkt.«

Einen Moment lang dachte ich, er würde mir überhaupt nicht antworten, aber dann riss er mich in die Arme und küsste mich leidenschaftlich. Ich kümmerte mich nicht um die Zuschauer, schlang meine Beine um seine Hüften und ließ meine Zunge in seinem Mund kreisen. Krallen wuchsen aus meinen Fingern, als das Inferno in mir außer Kontrolle geriet und uns in einen Feuersturm aus Liebe, Lust und Leidenschaft einhüllte. Der Drache in mir erwachte und begann, mich zu überwältigen.

»Heiliger Bimbam!«, sagte Aisling. Jim verlangte lautstark nach einer Videokamera. »Verwandelt sie sich gerade in einen Drachen?«

Gabriel holte mich gerade noch im letzten Moment zurück. Er umfasste mit beiden Händen mein Gesicht, und seine Augen brannten bis auf den Grund meiner Seele. »Du bist mein Ein und Alles«, sagte er, und in diesen wenigen Worten steckte eine Welt voller Gefühle. Mein Herz jubelte, und nach und nach gewann ich meine Fassung zurück, bis ich schließlich wieder als Frau vor ihm stand.

»Ich liebe dich«, flüsterte ich, meine Lippen auf seinen.

Seine Augen leuchteten, aber er erwiderte nur: »Komm heil zu mir zurück, mein kleiner Vogel.«

»Versprochen«, sagte ich und löste mich von ihm.

Ich packte Jim am Halsband und fühlte mich einigermaßen beruhigt, weil ich nicht alleine nach Abbadon gehen musste.

»Stellt die Sitze gerade und klappt die Tabletts hoch«, sagte Aisling und belegte Jim und mich mit einem Zauber. Dann machte sie eine weit ausholende Geste, die den Stoff von Raum und Zeit zerriss. »Ich wünsche euch eine schöne Zeit in der Hölle.«

»Berühmte letzte Worte«, sagte Jim, als wir hindurch traten. Gabriel sagte nichts, aber sein Gesicht stand mir vor Augen, als wir durch den Mahlstrom in die Finsternis gezogen wurden.

»Alles okay, May? Hey, alles okay? Hast du dir den Kopf gestoßen?«

Langsam ließ der Schmerz in meinem Schädel nach. Ich drehte mich um und blickte auf die großen schwarzen Nüstern eines Neufundländers. »Ja, alles okay. Aua, ich habe mir den Kopf gestoßen.« Blinzelnd setzte ich mich auf. »Wo sind wir?«

»So wie es aussieht, in einem Wäscheschrank. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, wir sind im Keller von Baels Palast in Abbadon.«

Vorsichtig betastete ich die Beule vorne an meinem Kopf.

»Wie kommst du darauf?«

»Da«, erwiderte Jim und deutete mit dem Kopf auf ein Klemmbrett, das an einem Nagel an der Seite des begehbaren Schranks hing. Ich stand auf und betrachtete es. »Palast«, stand auf dem Blatt Papier, das am Klemmbrett befestigt war, gefolgt von einer Liste von Tisch-und Bettwäsche. »Irgendwie finde ich es äußerst merkwürdig, dass ein Dämonenfürst sich die Zeit nimmt, Bettwäsche und Handtücher aufzulisten«, sagte ich.

»Er ist der oberste Fürst. Glaubst du, diesen Job bekommt man, wenn man nichts von Mikromanagement versteht?« Jim schüttelte den Kopf. »Du musst noch einiges lernen, Schwester.«

»Nenn mich nicht so. Wie lange war ich bewusstlos?«, fragte ich. Ich öffnete die Tür einen Spalt, um hinausblicken zu können.

»Etwa drei Minuten. Ich habe Stimmen draußen gehört, sie sind aber wieder weg.«

Wir unterhielten uns im Flüsterton, doch in der Stille von Baels Palast war selbst das deutlich zu hören. »Kennst du dich wirklich hier aus?«

»Ja. Ich war ein paarmal mit meinem früheren Chef hier, und auch Ash ist ein oder zweimal hier gelandet. Wir müssen nach oben in Baels Kerker gehen.«

»Ein Kerker, der oben liegt?«, fragte ich, als wir aus dem Raum schlüpften und leise einen schwach beleuchteten Gang entlanghuschten. »Ich dachte, so etwas liegt normalerweise im Keller.«

»Wenn er hier unten wäre, könnte Bael ja nicht die Schreie seiner Gefangenen hören, wenn sie gefoltert werden«, erklärte Jim.

Ich verzog das Gesicht. Am liebsten hätte ich mich in die Schatten zurückgezogen, aber Jim war zu gut zu sehen. Wenn er gefunden wurde, würde Bael sofort wissen, dass jemand bei dem Dämon war, und die Jagd würde beginnen. »Bring uns einfach zu Chuan Ren.«

Ein paarmal stießen wir fast mit Dienern und Untergebenen zusammen, die herumrannten und Baels Befehle ausführten, aber zur Abwechslung war das Glück auf unserer Seite, und wir fanden Chuan Ren ohne allzu große Probleme.

»Das ist die einzige Tür, vor der eine Wache steht. Ich wette, das ist Chuan Rens Zelle. Autsch. Ein Zorndämon«, flüsterte Jim, als wir um die Ecke auf eine Tür spähten, vor der eine Wache saß - eine riesige, menschlich aussehende Wache, die, wäre sie tatsächlich ein Mensch, wahrscheinlich ein hochbezahlter Rugby-Profi gewesen wäre. Jim musterte mich, als ich lautlos stöhnte. »Agathos daimon. Ein Zorndämon.«

»Ja, ziemlich übel. Ich nehme an, du hattest noch nie mit einem zu tun?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Ich sage es ja ungern, aber du bist hier ganz auf dich allein gestellt«, meinte Jim fröhlich. »Ich könnte zwar einem geringeren Dämon etwas tun, aber einem Zornie? Nein. Diese Typen sind der Tod auf zwei Beinen.«

»Ich weiß«, erwiderte ich, während ich fieberhaft überlegte, was ich machen konnte. Zorndämonen sind die Ersten Offiziere in der Legion eines Dämonenfürsten. Packt man die schlimmsten Eigenschaften von Massenmördern, Psychopathen, Diktatoren und Sadisten in einen ungeheuer kräftigen, unzerstörbaren muskulösen Kör per, dann hat man so ungefähr den schwachen Abklatsch eines Zorndämons. Und ausgerechnet zwischen Chuan Ren und meiner Zukunft stand so ein Kerl.

»Es gibt nur eine Möglichkeit, an ihm vorbeizukommen. Du musst ihn ablenken, Jim.«

»Ich?«, jaulte er und riss die Augen auf. »Er wird meine famose Gestalt in nicht einmal zwei Sekunden zerstören.«

»Nein, das wird er nicht. Du gehörst einem anderen Dämonenfürsten, und du kennst doch die Regeln - man kann ausgeschlossen werden, wenn man einen anderen Dämon vernichtet Tu einfach so, als wäre Aisling hier und sie hätte dich losgeschickt, um eine Besorgung zu erledigen.«

»Das ist ein Dämon erster Klasse!«, protestierte Jim. »Ich kann nicht mit ihm reden! Ich bin nur sechster Klasse.«

»In der Doktrin steht kein Wort davon, dass du nicht mit ihm reden kannst. Erfinde einfach eine Geschichte, damit ich ein paar Sekunden Zeit habe.«

Der Dämon verzog das Gesicht. »Er wird mir nicht glauben, auch wenn ich mir eine Geschichte ausdenke. Bael würde mich hier nicht unbeaufsichtigt herumlaufen lassen.«

»Er muss dir ja nicht glauben, er soll sich nur ein paar Sekunden auf dich konzentrieren, damit ich an ihm vorbeischlüpfen kann.«

Jim verzog skeptisch das Gesicht. »Zorndämonen können Schattengänger sehen. Sie können sogar in die Schattenwelt hineinschauen.«

»Aber nicht sehr gut. Wenn du ihn auf dich aufmerksam machst, kann ich an ihm vorbei in Chuan Rens Zelle hineinschlüpfen.«

»Hinein vielleicht«, gab Jim mürrisch zu. »Aber wie willst du wieder herauskommen?«

»Darüber mache ich mir Gedanken, wenn es so weit ist. Findest du den Weg zurück zum Wäscheschrank wieder?«

»Ja. Vorausgesetzt, Zornie zerquetscht mich nicht zu schwarzem Brei.«

»Nein, das tut er nicht. Er weiß ja gar nicht, dass Bael keinen Grund hat, Aisling entgegenzukommen.«

»Du lässt mich einfach allein«, jammerte er leise. »Du gehst einfach und lässt mich hier allein.«

»Aisling kann dich jederzeit wieder zurückrufen«, erwiderte ich.

»Nein, wenn ich gefangen bin, nicht«, erwiderte Jim und blickte auf die Zellentür. »Aus diesen Zellen kommt kein Dämon heraus, wenn Bael es nicht will.«

»Oh.« Beinahe hätte ich ihn darauf hingewiesen, wie unwahrscheinlich es war, dass er in so einer Zelle enden würde, aber der besorgte Gesichtsausdruck des Dämons hielt mich davon ab. »Naja, das spielt sowieso keine Rolle. Ich verspreche dir, ich verlasse Abbadon nicht ohne dich. Okay?«

»Na gut, aber wenn du es vergisst, verzeihe ich dir das nie.«

Ich tätschelte ihm den Kopf. »Ich vergesse es schon nicht. Gib mir fünf Sekunden, und dann kannst du den Zorndämon ablenken.«

»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du hast Unterricht bei Ash genommen, wie man todsicher einen Plan aufstellt, der schief geht«, sagte Jim, als ich in die Schatten ging und über den Gang zur gegenüberliegenden Wand huschte. Ich schlich den Gang entlang, bis ich das Gefühl hatte, dass ich für den Dämon außer Sichtweite war, und hielt den Atem an, als Jim pfeifend um die Ecke schlenderte.

»Hey!«, rief er dem Zorndämon zu, der sich aufgerichtet hatte und Jim misstrauisch entgegenblickte. »Wie geht's, wie steht's? Vorausgesetzt, es gibt was zum Stehen bei dir. Also, ich persönlich habe ja ein besonders nettes Paket. Aisling, meine Dämonenfürstin, sagt immer, ich hätte Glück, dass ich Fell habe, denn sonst müsste sie mir eine Unterhose anziehen. Na, du verstehst schon, was ich meine, was? Hahaha.«

Ich verdrehte im Geiste die Augen und bewegte mich in der Schattenwelt. Ich war noch nie in dem Teil der Schattenwelt gewesen, der sich in Abbadon befand, und es erschreckte mich ein wenig, wie sehr er sich von der richtigen Welt unterschied. Hier war es absolut dunkel, und man hatte das Gefühl, sich in einem Albtraum zu befinden, in dem alles verzerrt war. Der Zorndämon sah allerdings in der Schattenwelt nicht anders aus, er war lediglich von einer schwarzen Corona umgeben. Vorsichtig schob ich mich an ihm vorbei und huschte durch die Zellentür, die nur in der realen Welt verriegelt war.

Chuan Ren saß unbeweglich da, mit dem Rücken an die Wand der kahlen Zelle gelehnt, in der sich nur ein schmutziges Strohlager, ein Eimer, der als Latrine diente, und ein Tablett mit rohen Innereien befanden.

Ich trat aus der Schattenwelt und wurde sofort gegen die Wand geschleudert. Chuan Rens Klauen bohrten sich tief in meinen Hals.

»Du!«, knurrte sie, und in ihren dunklen Augen glomm ein rotes Licht.

Das Stück Drachenherz in mir erfüllte mich sofort mit Zorn. Scharlachrote Krallen durchbohrten meine Fingerspitzen, und silberne Schuppen bedeckten meine Arme. Ich kämpfte nicht nur gegen Chuan Ren, sondern auch gegen das Drachenherz, das mich am liebsten vollständig in einen Drachen verwandelt hätte.

»Wenn du... mich... tötest,... kommst du nie... hier heraus«, keuchte ich, als Chuan Ren versuchte, mich zu erwürgen. Zu meiner Überraschung ließ sie mich augenblicklich los. Sie ließ die Hände sinken, und auch meine Finger wurden wieder normal. Ich rieb mir hustend und keuchend den Hals und rang nach Luft.

»Gabriel hat doch gesagt, er würde mich nicht befreien«, sagte sie misstrauisch.

Ich nickte und räusperte mich mehrmals, damit ich überhaupt einen Ton herausbekam. »Er kann deine Freiheit nicht kaufen. Dafür hat Bael gesorgt. Aber wir brauchen seine Einwilligung gar nicht, da du gegen deinen Willen hier festgehalten wirst.«

Sie packte mich mit einer Hand am Kragen und zog mich hoch. »Wie wollt ihr es denn anstellen?«

»Aisling wird dich zurückrufen. Da sie dich hierher verbannt hat, kann sie dich auch problemlos zurückrufen, ohne erst Baels Erlaubnis einholen zu müssen.«

»Aisling«, sagte Chuan Ren und verzog verächtlich die Lippen. »Ich werde sie töten für das, was sie mir angetan hat.«

»Das glaube ich nicht«, sagte ich und schob ihre Hand weg.

»Du wirst sie nicht nur mit Respekt behandeln, du wirst auch den Krieg gegen die grünen Drachen beenden. Es sei denn, du willst bis ans Ende deiner Tage Baels Gast sein.«

Widerstreitende Emotionen huschten über ihr Gesicht. Wut, Ungläubigkeit, gefolgt von Misstrauen und schließlich ein kalter, berechnender Ausdruck, der vermuten ließ, dass sie ihr Verlangen, Abbadon zu verlassen, gegen ihren Wunsch, den Krieg fortzuführen, abwägte.

Ich erwartete, dass sie protestieren würde, aber erneut überraschte sie mich. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie so viele Jahrhunderte lang Wyvern gewesen und deswegen daran gewöhnt war, schnelle Entscheidungen zu treffen. Es dauerte auf jeden Fall kaum eine Minute, bis die Vernunft über ihre Wut siegte. »Es hindert mich ja nichts daran, erneut den Krieg zu erklären«, sagte sie.

»Das ist eine Sache zwischen dir und den grünen Drachen. Allerdings sollte ich dich vielleicht darauf hinweisen, dass dein Sohn uns für deine Befreiung die Verwendung des Song-Phylakteriums versprochen hat.«

Sie zog scharf die Luft ein, Einen Moment lang dachte ich, sie würde einen Feuerball auf mich blasen, aber nichts dergleichen geschah. »Sag mir, was ihr mit ihm vereinbart habt.«

Ich erklärte ihr, welche Vereinbarung wir mit Jian getroffen hatten und aus welchem Grund. Nach kurzem Überlegen nickte sie. »Rote Drachen halten immer ihr Wort. Wenn du die anderen Stücke des Drachenherzens beisammenhast, gebe ich dir das Song-Phylakterium, damit du das Drachenherz neu zusammensetzen kannst. Aber du bekommst das Stück erst dann.«

»Das ist in Ordnung«, erwiderte ich, wobei ich mich darüber wunderte, dass sie nicht auf sofortiger Rückgabe bestand. »Ich brauche deine offizielle Annahme dieses Friedensvertrags, bevor ich Aisling sagen kann, dass sie mit dein Rückruf beginnen soll.«

Sie ergriff das Stück Pergament und den Stift, den ich aus meiner Lederweste zog. Leise knurrend unterschrieb sie. Mit der Spitze des Stifts stach sie sich in die Fingerkuppe und versiegelte den Vertrag mit Blut, wie es in der Anderwelt üblich war.

»Hervorragend. Ich glaube, du wirst das auch für die weiseste Entscheidung halten.«

Wenn Blicke töten könnten, wäre ich auf der Stelle tot umgefallen. Lächelnd rollte ich den Vertrag zusammen und steckte ihn ein. »Ich muss in die Schattenwelt zurück, um Aisling Bescheid zu sagen, dass sie mit der Rückholung beginnen soll. Es dauert bestimmt nicht lange. Du solltest dir darüber im Klaren sein, dass Drake sicher höchstpersönlich für Aislings Schutz sorgt. Wenn du also vorhast, sie nach deiner Rückkehr in die Welt anzugreifen, würde ich mir das an deiner Stelle noch einmal überlegen.«

Sie schwieg, als ich in die Schattenwelt zurückkehrte, aber ich spürte, wie aufgewühlt sie innerlich war.

Einen Moment lang schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf Gabriel, von dem ich wusste, dass er in der Schattenwelt auf mich wartete. Eine Weile suchte ich nach seiner Essenz und zitterte vor Angst, aber langsam begann sich ein warmes Glühen in mir auszubreiten, und ich wurde erfüllt von Licht und Liebe.

»Gabriel«, flüsterte ich.

»Ich bin hier, mein Vögelchen.« Seine Stimme kam aus weiter Ferne. Ich konnte ihn zwar nicht sehen, aber allein schon der Klang seiner Stimme gab mir Trost an einem ansonsten trostlosen Ort. »Ist es vollbracht?«

»Ja. Sag Aisling, dass Chuan Ren den Vertrag unterschrieben hat.«

»Hat sie auch eingewilligt, Jians Versprechen zu respektieren?«

»Ja.«

Er schwieg einen Moment lang. »Ich habe Drake Bescheid gesagt. Aisling fängt sofort mit dem Rückruf an. May...«

Er brach ab, und ich spürte, dass ihm irgendetwas Sorgen bereitete.

»Was ist los?«

»Ist Chuan Ren bei dir?«

Ich blickte hinter mich. In der Schattenwelt bestand die Zelle aus schmutzigen Bogengängen, die sich in der tintenschwarzen Finsternis verloren. Der Boden war bedeckt mit glitzernden Drachenschuppen. In der Mitte stand eine Silhouette - Chuan Ren.

»Ja, ich sehe sie.«

»In der Schattenwelt?«

»Nein, in der Zelle.«

Gabriel schwieg erneut. Dann fragte er: »Wer ist denn bei dir in der Schattenwelt?«

»Niemand. Nur du und ich.«

Ich konnte ihm förmlich anhören, wie sein Unbehagen wuchs.

»May, es ist noch jemand da. Ich spüre die Anwesenheit eines anderen Drachen. Komm sofort zu mir zurück, kleiner Vogel.«

Ich blickte mich um, sah aber niemanden. »Das geht nicht. Ich muss erst noch Jim holen.«

»Komm sofort zurück, May«, drängte Gabriel. Seine Stimme wurde lauter. Die Sorge in seiner Stimme jagte mir einen Angstschauer über den Rücken. Es gab nur noch einen einzigen Drachen, der sich in der Schattenwelt aufhalten konnte. »Ich habe Jim versprochen, nicht ohne ihn zu gehen.«

Gabriel fluchte leise, weil er mir in der Schattenwelt nicht beistehen konnte. »Geh heraus. Geh aus der Schattenwelt heraus.

Du bist dort nicht sicher.«

Ich dachte an den Zorndämon, der in der wirklichen Welt vor der Tür stand. »Da draußen ist es auch nicht gerade sicher für mich.«

»Ich sage es zwar ungern, aber du bist Magoths Gemahlin. Bael kann dir nichts tun, ohne seine eigenen Gesetze zu brechen. Vor ihm kann ich dich retten, May, aber gegen denjenigen, der dich in der Schattenwelt belauert, bin ich machtlos.«

Er hatte sicher recht, aber es gefiel mir nicht besonders.

Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_000.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_001.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_002.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_003.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_004.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_005.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_006.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_007.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_008.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_009.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_010.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_011.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_012.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_013.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_014.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_015.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_016.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_017.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_018.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_019.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_020.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_021.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_022.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_023.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_024.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_025.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_026.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_027.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_028.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_029.htm
Silver Dragons 02 - Viel Rauch um Nichts-neu-ok-26.12.11_split_030.htm